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Posts

Es werden Posts vom 2016 angezeigt.

Sterben muss jeder

Christine ist fünfundachtzig. Ihre Tabletten nimmt sie täglich, bevor sie auf ihren Stock gestützt zur Kirche tappt. Während der Messe ruht sie sich aus. Dann geht sie wieder heim. Sie kocht selbst, sie putzt selbst, sie liest viel. Einmal wird sie sterben, denn sterben muss jeder. Vielleicht erst in ein paar Jahren, hofft Christine. „Ich will ja noch erleben, wie es mit meinen Enkeln weitergeht“, sagt sie und lacht verschmitzt. Karl ist achtzig, er hat Krebs. An den guten Tagen versucht er für andere da zu sein. Viele Tage hat er nicht mehr, das weiß er und hofft, dass die meisten gut sein werden. Aber wer als Krankenhausseelsorger ein Leben lang kranken und todkranken Menschen zugehört hat, betrachtet die Sache nüchtern. Oder nüchterner. Denn ganz nüchtern geht nicht. Sterben muss jeder, aber ein Ablaufdatum wünscht sich dann doch keiner. CC0 Pixabay/StockSnap

Marmeladeluft

Plötzlich habe ich Mirabellen-Marmelade-Duft in der Nase. Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch und schnuppere. Da ist der Weg. Hier ist die Hecke. Hasel, Hartriegel und ein schneeweißer Mirabellenbaum in voller Blüte. Aha! Für eine Weile bleibe ich beim Mirabellenbaum und genieße Marmeladeluft.

Nachtmusik

Bei einem meiner Spaziergänge im März überraschte mich die Dämmerung. Ich bemerkte es, als ich durch das Wäldchen streifte und urplötzlich ein Heidenspektakel in den Kronen ausbrach. Ich stieg die Böschung hinab und legte mich in das vertrocknete Gestrüpp. Lächelnd schloss ich die Augen und lauschte. Es trällerte und zwitscherte, jubilierte und tschilpte, schäkerte und pfiff. Der wandlungsfähigste Vogel saß links von mir im Geäst. Als ich die Augen öffnete, entdeckte ich ihn schwarz wie ein Scherenschnitt. Er sang zärtlich, dann fordernd, leise, dann laut. Als mir die Kälte in Arme und Beine kroch, erhob ich mich und ging nach Hause. Ein Käuzchen begleitete mich rufend. Und hin und wieder knackte es im Gebüsch.

Gloria

Jeder weiß: Gloria ist großartig. Gloria weiß: Großartig ist sie nur im Tarnen und Täuschen. Die Runde sitzt im Wirtshaus zusammen. Großvater feiert seinen Achtzigsten. „Wie war es in Skandinavien, Gloria?“, fragt der alte Mann, „Hast du die Polarlichter gesehen?“ Gloria erzählt von den Farben der Nordlichter. Wer kennt sie nicht aus dem Fernsehen? Purpur und türkisgrün, hellblau und eidottergelb. „Warst du auch bei den Rentieren in der Tundra?“, will Klein-Jonas wissen. „Natürlich. Nach Stockholm und Göteborg“, erklärt Gloria selbstsicher. Irgendwann will sie echt dorthin. Sobald sie wieder eine Wohnung hat. Und einen Job. Und Geld. Und Urlaub. Und überhaupt. CC0 Pixabay/danielsampaioneto

Mechthild

Was bleibt von einem Leben, fragt sich Mechthild. Biographische Eckdaten? Geboren 1937 in Enns als lediges Kind einer Näherin. Aufgewachsen ohne Vater. Unverheiratete, kinderlose Malerin. Bald verstorben in einem Altenheim in Linz. Nicht viel eigentlich. Mechthild rührt Zucker in den Kaffee. Viele Gefühle bleiben von einem Leben. Sommer in der Enns-Au. Mückenstiche und der erste Kuss. Viele Küsse. Ölfarbe und Leinwand. Liebeskummer, als die Soldaten abziehen. Liebeskummer auf der Hochzeit von Franz. Liebeskummer in der Toscana. Bilder, Bilder. Geldnot. Verhasste Fabrik. Verhasstes Linz. Verhasstes Enns. Hassbilder. Paris. Lebensfreude. Geldnot. Liebeskummer. Gefühle, viele Gefühle. Aber diese nimmt Mechthild mit, wenn sie  geht. CC0 Pixabay/bodobe

Zehn Zeilen

Kann man eine Geschichte in zehn Zeilen erzählen? Mal sehen, ob mir dies gelingt. Als Bloggerin brauche ich eine neue Herausforderung. Die Erkenntnis kommt mir auf dem Weg zum Kopierer. Blatt für Blatt spuckt das Riesending aus, es rattert und brummt. Die Ausdrucke brauche ich später. In Gedanken bin ich bei meinen Zehn-Zeilen-Geschichten. Sie sollen mehr sein, als Erzählungen aus meinem Alltag. Was ich brauche ist ein Protagonist, eine Prämisse und eine Verpackung. Fertig ist die kurze Kürzestgeschichte. Klingt einfach. Mal sehen, ob das stimmt.

warten

Ich warte auf einen Brief. Auf einen echten. Einen handgeschriebenen. Das Warten ist schön. Die Spannung auch, ob der Brief denn nun endlich angekommen ist. Ja, sogar das bisschen Enttäuschung ist wunderbar, denn der Postkasten ist leer. Noch.